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Klima 2014

Kluges von Lennard Bengtsson (NZZ 15.4.2014): Seit Ende des 19. Jahrhunderts wissen wir, dass das Klima der Erde empfindlich auf Treibhausgase in der Atmosphäre reagiert. Damals zeigte der schwedische Chemiker Svante Arrhenius, dass ein Anstieg der CO2-Konzentration zu einem wärmeren Klima führen würde. Arrhenius hegte jedoch wenig Hoffnung, dass dies geschehen könnte. Folglich müssten die Schweden weiterhin in einem kalten und elenden Klima leiden. Seither hat sich viel verändert. Die jährliche CO2-Emission hat inzwischen ein Niveau erreicht, das gut 20-mal über dem von 1896 liegt. Das gibt weltweit zu denken.
Mehr CO2 in der Atmosphäre führt zweifellos zu einer Erwärmung der Erdoberfläche. Das Ausmass und die Geschwindigkeit dieser Erwärmung sind aber noch offen, da wir den Treibhauseffekt noch nicht gut genug von anderen Klimaeinflüssen trennen können. Obwohl der Strahlungsantrieb durch die Treibhausgase (inklusive Methan, Stickoxiden und Fluorkohlenwasserstoffen) seit Mitte des 19. Jahrhunderts um 2,5 Watt pro Quadratmeter zugenommen hat, zeigen Beobachtungen bis jetzt nur eine moderate Erwärmung von 0,8 Grad Celsius. Damit fällt die Erwärmung markant kleiner aus als von den meisten Klimamodellen vorhergesagt. Zudem erfolgte die Erwärmung im letzten Jahrhundert nicht gleichmässig. Auf Phasen mit einer markanten Erwärmung folgten Perioden mit gar keiner Erwärmung oder sogar einer Abkühlung.
Die komplexe und nur teilweise verstandene Beziehung zwischen Treibhausgasen und globaler Erwärmung führt zu einem politischen Dilemma. Denn wir wissen nicht, wann mit einer Erwärmung von 2 Grad Celsius zu rechnen ist. Der Weltklimarat geht davon aus, dass die Erde sich bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration um 1,5 bis 4,5 Grad erwärmen wird. Die hohen Werte der Klimasensitivität werden bis heute jedoch nicht durch Beobachtungen gestützt. Mit anderen Worten: Die Klimaerwärmung ist bis jetzt kein ernsthaftes Problem, wenn wir uns auf Beobachtungen stützen. Problematisch wird sie nur, wenn wir uns auf Modellsimulationen beziehen.
Es gibt keine Alternative zu solchen Simulationen, wenn man die zukünftige Entwicklung prognostizieren will. Da es jedoch keine Möglichkeit gibt, sie zu validieren, sind die Prognosen mehr eine Sache des Glaubens als ein Faktum. Der Weltklimarat hat vor einigen Monaten eine Expertenmeinung veröffentlicht und diese in Form von Wahrscheinlichkeiten präsentiert. Solange die Resultate nicht auf validierte Modelle abgestützt werden können, erzeugt das einen falschen Eindruck von Zuverlässigkeit.
Die europäischen Staaten verfolgen in dieser Situation die Strategie, das Risiko signifikant zu reduzieren, indem man die Nutzung fossiler Energien in kürzester Zeit auf ein Minimum zurückfährt. Auch viele Bürger sind risikoavers und unterstützen deshalb diese Politik. Zudem wollen viele Bürger aus der Kernenergie aussteigen, weil diese ebenfalls als zu riskant angesehen wird. Sowohl die Kernenergie als auch die fossilen Energien zu eliminieren, ist eine enorme Herausforderung. Trotzdem haben sich Deutschland und die Schweiz für eine Energiewende entschieden. Eine derart radikale und vielleicht auch riskante Energiepolitik zu verfolgen, ist trotz den ökonomischen, wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen der beiden Länder ein enormes Unterfangen.
Es gibt zwei Dinge, die man in diesem Zusammenhang ansprechen muss. Zum einen wird die Energiewende unglücklicherweise wenig dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu reduzieren, da 90 Prozent dieser Emissionen von Ländern ausserhalb Europas kommen. Viele dieser Länder dürften ihre Emissionen in Zukunft weiter steigern, weil die Bevölkerung zunimmt und die oberste Priorität darin besteht, den Lebensstandard der Bürger zu verbessern. China ist ein besonderer Fall. Die CO2-Emissionen haben sich im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt und liegen nun gut 50 Prozent über denen der USA. Aus verschiedenen Gründen gibt es in den Entwicklungsländern vorerst keine Alternative zu fossilen Energien. Denn der Bedarf dort ist gross. Momentan haben 1,3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. Um ihre eigenen Emissionen einfach und schnell zu reduzieren, haben die OECD-Staaten einen Teil ihrer energieintensiven Produktion in Entwicklungsländer ausgelagert. In den nationalen Statistiken macht sich das zwar gut. Global gesehen ändert sich jedoch nicht viel, da die Emissionen lediglich woanders anfallen.
Zum anderen hat der schnelle Umstieg auf erneuerbare Energien in vielen Ländern und besonders in Europa zu einer beträchtlichen Verteuerung der Energie geführt. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit und führt zu einer Abwanderung energieintensiver Industrien in Länder wie die USA, wo der Energiepreis durch die Nutzung von Schiefergas deutlich gesunken ist.
Es ist keine Überraschung, dass es Kräfte gibt, die einen raschen Wandel vorantreiben. Denn sobald staatliche Subventionen im Spiel sind, winken enorme Gewinne. Bevor man aber radikale und hastige Änderungen am heutigen Energiesystem vornimmt, muss es robuste Beweise für einen beträchtlichen Klimawandel geben. Davon sind wir noch weit entfernt. Es wäre falsch, aus dem Bericht des Weltklimarates und ähnlichen Berichten den Schluss zu ziehen, die Wissenschaft sei geklärt.
Wir wissen noch nicht, wie man die Energieprobleme unserer Erde am besten löst. Aber in den nächsten 100 Jahren können noch viele Dinge passieren. Eine mässige Klimasensitivität, wie sie durch jüngste Beobachtungen nahegelegt wird, könnte der Welt eine Verschnaufpause von einem halben Jahrhundert (aber nicht viel länger) verschaffen, wenn gleichzeitig ein Umstieg von Kohle auf Erdgas stattfindet. Das verschafft uns die Möglichkeit, unnötige und panikartige Investitionen zu vermeiden und die verfügbaren Mittel stattdessen in gut durchdachte, langfristig orientierte Forschungsprogramme zu investieren. Dazu gehören neue Arten der Kernenergie ebenso wie die Nutzung nuklearer Abfälle zur Energieerzeugung.

Lennart Bengtsson war bis 1990 Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Nach seiner Emeritierung hat er unter anderem die Abteilung Erdwissenschaften am International Space Science Institute in Bern geleitet.